~ Der Tropfen, der das (Gefühls-)Fass überlaufen lässt~
Wenn es bei uns stürmisch ist (sei es im Innen, wegen einem Erlebnis/Entwicklungsschub oder im Außen mit Terminen, Kindergarten etc) dann brauchen wir viel Zeit, wo wir spüren können. Ich glaube, dass ein Großteil der Erwachsenen auch deshalb so schlecht in Verbindung mit ihren eigenen Gefühlen stehen, weil das wirklich Zeit in Anspruch nimmt. Und Zeit ist Geld. Sagt man jedenfalls. Hallo Kapitalismus!
Gefühle, die wir nicht wahrnehmen und verarbeiten, verlassen unseren Körper nicht. Wir sammeln sie, Tropfen für Tropfen in einem inneren Fass. Wenn dieses Fass wegen dem berühmten letzten Tropfen schließlich übergeht und die Flut kommt, sind wir oft überrascht. Wie unangenehm, unpassend und unbequem so eine Gefühlsüberflutung sein kann. Das gilt übrigens für alle Gefühle. Ist es dir schon einmal passiert, dass dein Kind nach oder während einem „perfekten“ Tag trotzdem schreiend am Boden landet? Selbst große Freude kann dieses Fass zum Überlaufen bringen.
In diesem Moment des Überlaufens spreche ich für mich (und für mein Kind) oft laut aus: „Es geht jetzt um das Gefühl, nicht um diese Sache.“ Das hilft mit sehr, den Blick wegzulenken von „Wegen so einer Kleinigkeit rastest du aus!“ hin zu einem Verstehen von „Dein Fass ist voll. Lass uns gemeinsam ansehen und benennen, was da gerade alles herausläuft.“
Im Buch „Gefühle & Emotionen – Eine Gebrauchsanweisung“ von Vivian Dittmar werden fünf Grundgefühle beschrieben. Das sind Freude, Trauer, Angst, Wut und Scham. In ihrer Forschung für das Buch „Atlas of the Heart“ hat Brené Brown nachgeforscht und Menschen befragt, welche Emotionen sie tatsächlich im Alltag wahrnehmen und benennen können (von einer guten Kommunikation sprechen wir da noch gar nicht!). Das Ergebnis war erschreckend. Im Schnitt gelingt es einem erwachsenen Menschen drei dieser fünf Grundemotionen zu erkennen und benennen zu können. Und zwar sind das Angst, Wut und Freude.
Hier kommt mir sofort das Zitat von Ludwig Wittgenstein (Philosoph) in den Sinn:
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“
Die Zeit, die wir investieren, um unsere eigenen Gefühle wahrnehmen, benennen und kommunizieren zu können, zahlt sich aus. Nicht finanziell. Sehr wohl aber in Lebensqualität und Verbundenheit mit uns selbst und unseren Lieben. Diese Arbeit, zahlt sich aus. Nicht weil ich dadurch alle Probleme/Traumata/Herausforderungen in unserer Familie auslösche. Aber weil ich in die richtige Richtung gehen kann. Weil ich meinen Kindern praktisches Werkzeug und eine Sprache für ihre Gefühle mitgeben kann.
Wir dürfen uns Zeit nehmen, um zu spüren. Je stürmischer es uns scheint, desto mehr neigen wir dazu diese Zeit zu kürzen oder ganz zu streichen. Lasst sie uns nehmen und den Prozess, so anstrengend er manchmal ist, leben und das Wachstum, das daraus entsteht, genießen.
Eine gute Möglichkeit, Raum zum Spüren zu schaffen, ist tatsächlich mit unserem Körper etwas wahrzunehmen. Wenn wir unsere Sinne nutzen wirkt das erdend. Freies Spiel wird als „Zeit ohne Ziel“ definiert. Zeit zum Sein. Zeit zum Wahrnehmen. Zeit zum Erzählen. Denn wenn der Körper in Bewegung ist, können sich auch Gefühle gut bewegen, kommen ans Tageslicht und bleiben nicht stecken. So so oft erzählen mir meine Kinder bei genau solchen Spielzeiten, was sie wirklich bewegt.
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