~ Mut zur Wut ~

Es gibt diese zwei kleinen Lehrmeister, die mir das Leben geschenkt hat. Sie tragen Windeln, ein zuckersüßes Lachen und sie zeigen eben auch manchmal ihre Wut. Ungefiltert kommt sie ans Tageslicht, schreit, schlägt, wirft sich auf den Boden und heult hemmungslos ihren Schmerz heraus. Wut ist ein sehr körperliches Gefühl und sie auch über diesen rauszulassen eigentlich ein logischer Weg.

Ich weiß noch genau wie ich meinen, damals 18 Monate alten, Sohn fassungslos angestarrt habe, als er mit den Füßen und Fäusten schlagend, schreiend auf meinem Küchenboden vor dem Kühlschrank lag. Es war das erste Mal und Grund meiner Fassungslosigkeit war zum einen der Auslöser dieses Wutausbruchs (ich hatte die Milch zurück in den Kühlschrank gestellt und diesen zugemacht), zum anderen war es ein Gefühl, das mir völlig unpassend erschien. Neid. Ich war tatsächlich neidisch auf dieses freie Ausleben und Loslassen seiner Wut. Verwundert hinterfragte ich den Umgang mit meiner eigenen Wut.

Diese kleinen Menschen triggern mich auf eine Art und Weise wie es noch kein Erwachsener zustande gebracht hat. Ich liebe sie innigst und würde nicht zögern, mir einen Arm für sie abschneiden zu lassen. Aber einen absichtlich auf den Boden geschmissenen Trinkbecher kann ich nicht hinnehmen? Ich schlucke meine Wut runter, verstecke sie und doch kommt sie, wie gesammelte Treuepunkte im Supermarkt, zum Zug, wenn das Heft voll ist.

Bei einem erneuten Wutausbruch meines Sohnes ertappe ich mich. „Da brauchst du jetzt gar nicht wütend sein!” Als ich meine Stimme diesen Satz sagen höre, regt sich etwas in mir. “Ich darf wütend sein!” Eine Erkenntnis, ein Zuspruch, der für mich vieles verändert.

Dieses Gefühl der Wut möchte ich nicht länger mit Füßen in den Keller treten. Vielmehr bekommt sie einen Platz am Tisch, darf Raum einnehmen und sagen, was sie bewegt. Ich kann zuhören und lernen. Ihr gut zureden und Trost schenken. Und sie dann wieder ziehen lassen.

Wut kann auch gut sein. Sie zeigt mir, dass etwas nicht stimmt. Spricht von ungestillten Bedürfnissen, Ungerechtigkeit und Überforderung. Sie kann Antrieb zum Handeln sein. Wut von unten betrachtet kann Mut sein. Ich erfahre, dass Beziehungen gestärkt werden, wenn eine Person auch in ihrer Wut SEIN darf und sich geliebt und angenommen fühlen kann.

Dieses Erlebnis mit der Wut ermutigt mich, mir Zeit zu nehmen, alle meine Gefühle bewusst wahrzunehmen. Hinzuspüren und zu fragen:

  • Wo kommen sie her und wo möchten sie hin?
  • Was möchten sie mir heute sagen?
  • Was brauche ich?
  • Wo spüre ich sie in meinem Körper?
  • Welche Gefühle möchten weiterziehen und brauchen ein Ventil?
  • Wie sieht dieses Ventil für mich persönlich aus?

Mit der Wut gehe ich mittlerweile recht gerne eine Runde laufen, um sie ziehen zu lassen. Manchmal bespreche ich mit meinem Ehemann, was mich überfordert, wo meine Grenzen sind und wie ich Unterstützung bekommen kann. Manchmal verlasse ich den Raum und schreie in ein Kissen. Manchmal machen wir Musik an und tanzen wild durchs Haus, bis der Druck meinen Körper wieder verlässt. Manchmal atme ich durch und bitte Gott um Hilfe. Manchmal überkommt mich die Wut wie eine Welle und ich kann sie nicht halten. Auch das passiert. Dann kann es sein, dass eine Tür zufliegt oder jemand meine Wut abbekommt. Auch das passiert. Was ich nicht mehr mache, ist mich selbst dafür zu verurteilen. Ich nehme mich an der Hand und stelle die Fragen. Ich gehe weiter, entschuldige mich für mein Verhalten (nicht für meine Wut!) und repariere, was ich kann. Ich darf sein und wachsen und bin geliebt.
Das tut gut.

Ich ermutige dich, hör auch du deinen Gefühlen zu!
Dahinter liegen verborgene Schätze für ein erfülltes Leben und emotionale Gesundheit!

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One Comment

  • Mimi

    Ich fühle mich oft wie die schlechteste Mutter der Welt, wenn die Wut aus mir herausbricht! Danke für deine Worte – haben mich sehr zum Nachdenken angeregt und ermutigt, einen guten, offenen Umgang mit meiner Wut zu lernen.

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